Bildung ist das, was einem keiner nehmen kann

Dr. Kutschera erzählt auf die Fragen von Iva Gabrijela Slisko (5. Klasse, Redaktion EE) über Osteuropa, Geschichte, Bibel, Koran, alte und neue Sprachen und vieles mehr:

Wo haben Sie Ihre Kindheit verbracht?

Ich bin in Österreich aufgewachsen, die meisten Jahre davon in Wien. Als ich 16 war, ist meine Familie nach Salzburg gezogen, dort habe ich Abitur gemacht. In all diesen Jahren war ich auch viel in den Bergen unterwegs, deswegen habe ich später eine Schilehrer-Ausbildung gemacht.

 

Welches Erlebnis aus Ihrer Kindheit möchten Sie uns erzählen?

Als ich 13 war, hat meine Familie auf einem Donauschiff einen Ausflug nach Budapest gemacht. Da habe ich mich mit Peter, einem gleichaltrigen ungarischen Jungen angefreundet, den ich dann zwei Mal in Budapest besucht habe. Es war eine spannende Sache, damals ganz allein in den kommunistischen „Ostblock“ zu fahren, am Stacheldraht und an den schwerbewaffneten Soldaten vorbei. In der 7. Klasse habe ich dann versucht, mir selbst jeden Morgen vor der Schule mit einem dicken Sprachbuch Ungarisch beizubringen. Es ist nicht viel davon übriggeblieben, aber ein paar ungarische Freundlichkeiten sagen zu können macht mir heute noch Spaß.

 

Welches Fach war in der Schule Ihr Lieblingsfach?

Es gab ein paar Lieblingsfächer, die sich während der Zeit am Gymnasium verändert haben. In der 6. Klasse fand ich in Geschichte alles so spannend. Aber auch Biologie war interessant, ich habe Vögel und Pflanzen nachgezeichnet. In der Mittel- und Oberstufe hat mich Griechisch fasziniert. Davon profitiere ich bis heute, weil ich die Bibel sehr gerne in den Originalsprachen lese – man versteht dann vieles besser.

 

Waren Sie in der Schulzeit eher ein Schüler, der sich viel hinsetzt und lernt, oder waren Sie eher einer, der sofort nach der Schule angefangen hat mit seinen Freunden zu spielen?

Bis zur Mittelstufe gab es eine festgelegte Reihenfolge: Zuerst Aufgaben machen, dann Fußballspielen. In der Oberstufe ist das etwas durcheinandergeraten und es kamen nächtliche Lern-Sessions dazu.

 

Welche Sprachen können Sie außer Deutsch sprechen?

Sprachen lernen hatte in meiner Familie einen hohen Wert. Meine Mutter war als Kind in den 1930-er Jahren in Wien oft bei einer befreundeten jüdischen Familie eingeladen und die hatten immer gesagt: „Bildung ist das einzige, das einem niemand wegnehmen kann.“ Deswegen wurde auch mein Sprachenlernen von Anfang an gefördert und ich habe im Laufe der Jahre viele Gelegenheiten zum Lernen ergriffen: Sprachkurse und Tätigkeiten in Frankreich, Belgien, den USA, Spanien, Israel und Italien. Deswegen kann ich Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und ein bisschen Russisch und Ivrit (Neuhebräisch) sprechen.

Texte lesen und verstehen kann ich auch in Latein, Griechisch und Hebräisch. Bei meiner Doktorarbeit, die auch als Buch erschienen ist, habe ich insgesamt 7 Sprachen gebraucht, um alle Quellen auswerten zu können. Das ist dann in die knapp 1.000 Fußnoten eingeflossen.

In den 1990-er Jahren war ich viel am Balkan mit Hilfstransporten unterwegs und da habe ich ein paar Brocken Kroatisch aufgeschnappt.

 

Was haben Sie gemacht, bevor Sie Schulleiter wurden?

Ich habe fünf Jahre an einer amerikanischen und einer italienischen Universität in Rom unterrichtet – das war eine intensive und schöne Zeit. Voriges Jahr habe ich ein Buch veröffentlicht, an dem ich in diesen Jahren gearbeitet hatte, mit dem Titel: „Jenseits von Unterwerfung“. Es geht um die Quellen des Koran und seine Wirkungsgeschichte. Dazu habe ich mich mit der arabischen Schrift und einigen arabischen Kernbegriffen des Koran beschäftigt. Es ist auch auf Italienisch erschienen und kommt nächstes Jahr auf Englisch heraus. Wegen Corona hat meine amerikanische „Loyola University“ in Rom ihr Programm vorübergehend eingestellt und ich bin nach Bayern zurück. Vor einem Jahr wurde ich Geschäftsführer des St. Anna Schulverbunds, weil ich vor meinen römischen Jahren bereits ein paar Jahre am damaligen Günter-Stöhr-Gymnasium tätig war. Einige der jetzigen Zwölftklässler hatte ich schon in der 5. Klasse. 

 

Halten Sie das Maskentragen in der Schule für sinnvoll?

Medizinische Maßnahmen geben immer nur einen aktuellen Erkenntnisstand wieder. Mein Vater war Arzt und wir haben oft beim Abendessenstisch darüber gesprochen. Vielleicht bremst das Maskentragen die Viren-Übertragung, aber es behindert die Kommunikation. Wenn man das gegeneinander abwägt, dann scheint das Maskentragen zu bestimmten Zeiten sinnvoll zu sein. Man sollte jedenfalls weder Maskentragen noch Nicht-Maskentragen zu einer Ideologie machen.

 

Hat auch die Schulleitung einen Dresscode?

Ich habe den gleichen Dresscode wie die Lehrer: Anzug mit Krawatte, die übrigens ein wunderbares Erbe Kroatiens an die Welt ist! Ich bin froh, dass es diesen Dresscode bei uns gibt. An anderen Einrichtungen habe ich erlebt was passiert, wenn es den nicht gibt.

 

Warum heißen wir jetzt Colleg und nicht mehr Schulverbund?

Früher gab es zwei räumlich getrennte Schulen, deswegen waren wir ein „Schulverbund“. Heute sind Grundschule und Gymnasium zusammen an einem Ort. Auf Latein heißt zusammenfügen „colligere“ – und deswegen sind wir jetzt ein „Colleg“. Und „St. Anna“ steht dafür, dass wir in einer großen Tradition stehen, von der wir viel lernen können.

 

Was bedeutet das Logo des St. Anna Colleg? Könnte es vielleicht ein Hashtag sein, oder sind es Blütenblätter, Reiskörner, oder einfach nur Striche?

Das Logo lässt bewusst Möglichkeiten offen, denn jeder Schüler des St. Anna Collegs erhält hier die Möglichkeit, sich zu einer umfassend gebildeten Persönlichkeit zu entfalten. Von daher ist die Interpretation mit den Blütenblättern durchaus passend. Dass die Blätter rechts oben von grün zu gelb (auf der Schulkleidung von gelb zu weiß – Anmerkung der Redaktion) wechseln, hat auch eine Bedeutung: Wenn sich ein freies und zugewandtes Miteinander entwickelt, entsteht etwas Neues – mit großer Freude erlebe ich das hier täglich.

 

Vielen DANK für dieses Interview!