Was bedeutet es jüdisch zu sein?

Die Redaktion im Gespräch mit einer Schülerin der Oberstufe


Innenraum der Münchner Ohel-Jakob-Synagoge Quelle: https://synagogues-360.anumuseum.org.il/tour/ohel-jakob/
Innenraum der Münchner Ohel-Jakob-Synagoge Quelle: https://synagogues-360.anumuseum.org.il/tour/ohel-jakob/

Welches jüdische Fest ist für Sie das Schönste? Das ist für mich Pessach (Pessach beginnt mit dem ersten Frühlingsvollmond und ist der Ursprung des christlichen Osterfestes – Anmerkung der Redaktion). Das Schönste ist der Festinhalt: die Befreiung. Das ganze Fest ist ein Zeichen für die Freiheit. Auch das was es zu Essen gibt, erinnert an die Geschichte der Befreiung. Zum Beispiel die Mazza, das schnell gebackene Brot, weil es eilt bei der Flucht. Alles auf dem Teller erzählt etwas. Auch dass es nicht leicht ist. Dafür gibt es dann zum Beispiel Bitterkräuter auf dem Teller zur Erinnerung an die Bitterkeit der Sklaverei. Was sollte man als Nicht-Jude vom Judentum wissen?  Das Wichtigste, was viele Nicht-Juden nicht wissen: die Nächstenliebe ist im Judentum ganz zentral. Genauso wichtig, wie dass man Gott liebt. Natürlich ist es im Judentum ganz entscheidend, dass es nur einen Gott gibt. Aber das wissen die meisten vom Judentum. Wieviele Synagogen gibt es in München? Und welche gefällt Ihnen am besten? Es gibt die große und bekannteste am Jakobsplatz, die heißt Ohel Jakob („Zelt Jakobs“) und ist eher orthodox. Und dann gibt es eine etwas kleinere, die liberale, die heißt Beth Shalom („Haus des Friedens“ ). Die liberale Gemeinde in München hat etwa 600 Mitglieder. Da bin ich auch und habe dort auch meinen Religionsunterricht. Dann gibt es noch ein paar Gebetshäuser in der Stadt, aber da kenne ich mich nicht so aus. Was bedeutet es für Sie jüdisch zu sein? Es ist einfach das Teilhaben an der jüdischen Kultur, an den Festen, dem einen Glauben, und natürlich an einer Gemeinschaft. An den einen Gott zu glauben bedeutet es für mich auch, überhaupt an Gott zu glauben. Denn es gibt ja auch viele Juden, die nicht an einen Gott glauben. Aber für mich bedeutet es das schon.

Das höchste Gericht der EU hat entschieden, dass es nicht gegen EU-Recht verstößt, koscheres Schlachten zu verbieten. In der Urteilsbegründung wurden Argumente des Tierschutzes höher geachtet als die Religionsfreiheit. Wie schlimm ist es, wenn man als Jude die Speisegesetzte nicht einhalten kann? Wenn man orthodox ist, dann ist es glaube ich schon sehr schlimm. Für mich persönlich ist es jetzt nicht ganz so schlimm. Persönlich esse ich zwar kein Schwein. Aber weil ich liberal bin, muss ich es nicht ganz so strikt koscher haben wie Orthodoxe. Für die ist es wirklich sehr wichtig, dass sie auch koscher essen können. Man kann den Konflikt auch von beiden Sichten sehen. Natürlich haben die Tierschützer mit ihren Einwänden eine Berechtigung. Tierschutz schon auch sehr wichtig. Aber ich glaube nicht, dass er höher stehen sollte als die Religionsfreiheit. Das Verbot beschränkt ja nicht nur die religiösen Vorschriften von orthodoxen Juden sondern auch die der Muslime, die davon genauso getroffen werden. Haben Sie auch persönlich schon mal Judenfeindschaft erlebt? Und wenn ja, in welcher Form?  Ja das ist mir schon ein paar Mal passiert. Da machte jemand zum Beispiel in der Schule Witze mit einem Bild von Hitler, das er mir mit einem dummen Kommentar zeigte. Oder ganz fies waren Doppeldeutigkeiten mit Hitze oder Verbrennen, die dann ganz „lustig“ als Anspielungen auf die Vernichtung von Juden verstanden werden sollten. Am meisten hat mich gewundert, das waren eigentlich Leute, mit denen ich befreundet war. Die haben dann Sachen gesagt, von denen sie wohl dachten, dass das als Witz gemeint war. Aber es war überhaupt nicht witzig. Im Gegenteil. Zuerst hat mich das schon sehr getroffen und fand das fürchterlich. Aber dann habe ich gelernt das an mir abperlen zu lassen. Ich meine, wenn jemand so drauf ist, dann ist das dessen Problem, nicht meins. Zu meinen Freunden gehören die dann nicht mehr.  

Gibt es aktuelle Trends und Moden in der jüdischen Kultur, die Ihnen gefallen?  Es gibt schon eine Menge Trends und Moden z.B. in Israel, wo ich geboren bin, aber in den letzten Jahren bin ich wegen Corona nicht mehr in Israel gewesen. Ich glaube aber, dass Moden und Trends über Social-Media sich international ganz rasch verbreiten und inzwischen international gleichzeitig auftreten können, also nicht mehr so an Orte gebunden sind. Spezifisch jüdisch ist die kleine Kopfbedeckung, die Kippa, die orthodoxe Männer immer tragen und die liberalen in der Synagoge. Aber das ist eigentlich keine Mode, das ist Tradition. Für meine Bat Mitzwa (die festliche Einführung in die Gemeinschaft der erwachsenen Gläubigen, etwa wie im Christentum Konfirmation oder Firmung, Anm. d. Red.)  habe ich mir dann schon ein so ein eigenes Design für meine Kippa ausgedacht, ein Karomuster mit Beige-Tönen, so wie es mir eben gefallen hat. 

Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!